Der Kompetenzbegriff

01.09.2024

Neuer Blog, neue Fragen.

Kürzlich habe ich den aktuellen Podcast des BVRD zum Thema „Dipl. NFS Studienbericht“ gehört – ein wirklich spannender Beitrag für alle, die sich mit dem Rettungsdienst in Österreich auseinandersetzen (verfügbar auf Spotify). Dabei sind mir einige Fragen in den Sinn gekommen, die ich in den kommenden Wochen hier im Blog diskutieren möchte. 😊

Der Kompetenzbegriff

Warum ist der Begriff „Kompetenzen“ so zentral in der Berufsbezeichnung von Sanitäter (insbesondere Notfallsanitäter:innen) in Österreich? Reicht es aus, dass Notfallsanitäter:innen ihre Kompetenzen nur in Notfällen einsetzen, oder sollte man von ihnen nicht generell eine ständige Einsatzbereitschaft und Handlungskompetenz erwarten können?

Und was bedeutet „Kompetenz“ in diesem Kontext eigentlich genau?

Kompetenz wird allgemein als die Fähigkeit verstanden, Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Bewältigung von Handlungsanforderungen zu verbinden, insbesondere in nicht routinemäßigen und problemlösenden Situationen. Im Kontext der Berufsbildung umfasst der Begriff der beruflichen Handlungskompetenz Fach-, Sozial- und Selbstkompetenz, die im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) als zentrale Dimensionen festgelegt sind. Die empirische Bildungsforschung betrachtet Kompetenz als erlernbare Disposition, die kognitive sowie motivationale Aspekte einbezieht, um spezifische Handlungsanforderungen effektiv zu meistern (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2020).

Dr. Andreas Schober definiert in seiner Dissertation den Kompetenzbegriff für Sanitäter:innen (zum Zeitpunkt der Dissertation) in Österreich umfassend und über rein juristische Befugnisse hinaus. Sein Ansatz betont die Handlungsfähigkeit als zentrale Komponente für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung. Schober beschreibt Kompetenzen als ein Zusammenspiel von Fach-, Methoden-, personalen und sozial-kommunikativen Fähigkeiten sowie von Aktivitäts- und Handlungskompetenzen, die in kritischen Situationen erforderlich sind. Zudem hebt er Meta- und Querschnittskompetenzen als grundlegende Fähigkeiten hervor, die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ermöglichen. Im Fokus steht nicht nur die gesetzliche Befugnis, sondern das ideale Fähigkeitsprofil für eine optimale Patientenversorgung (Schober A., 2020).

Prof. Dr. med. Alex Lechleithner beschreibt den Begriff "Kompetenz" in der Notfallmedizin als eine Kombination aus Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zur Lösung von Problemen eingesetzt werden können. Diese umfassen sowohl das notwendige Wissen als auch die Bereitschaft, dieses in praktischen Situationen anzuwenden. Der Kompetenzbegriff ist in der Notfallmedizin vielseitig und dehnbar, wobei verschiedene Dimensionen wie soziale, fachliche, methodische und personale Kompetenzen unterschieden werden. Dabei reicht Kompetenz über rein technische Expertise hinaus und integriert auch soziale und kognitive Fähigkeiten, die für eine effektive Bewältigung von Notfallsituationen essenziell sind. Besonders betont wird, dass die Kompetenzen sowohl spezifisches medizinisches Wissen und Fertigkeiten als auch die Fähigkeit zur Reflexion, Kommunikation und Anwendung in komplexen und oft lebensbedrohlichen Situationen umfassen. (Lechleuthner, A., 2019)

In seinem Artikel von 2008 definiert Harald Karutz vier zentrale Kompetenzbereiche, die für die Ausbildung von Rettungsassistenten wesentlich sind: Fachkompetenz, Sozialkompetenz, methodische Kompetenz und personale Kompetenz. Fachkompetenz umfasst theoretisches Wissen in Bereichen wie Anatomie, Notfallmedizin und die sichere Ausführung praktischer Maßnahmen. Sozialkompetenz betrifft den Umgang mit Menschen, einschließlich der Fähigkeit, empathisch zu kommunizieren und in schwierigen Situationen effektiv zu agieren. Methodische Kompetenz bezieht sich auf das strukturierte Handeln in unvorhersehbaren Notfallsituationen sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung durch eigenständiges Lernen. Personale Kompetenz umfasst Selbstreflexion, Verantwortungsbewusstsein und die Fähigkeit, realistische Selbsteinschätzungen vorzunehmen. Karutz betont, dass diese Kompetenzbereiche nicht isoliert betrachtet werden sollten. Eine umfassende berufliche Handlungskompetenz erfordert das Zusammenspiel dieser Kompetenzen. Für eine effektive Ausbildung im Rettungsdienst ist daher ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der alle diese Bereiche gleichermaßen fördert. (Karutz, H., 2008)

Gehen wir noch ein paar Jahre zurück – denn Karutz beschreibt schon im Jahr 2004, dass der Rettungsdienst mehr als nur die Anwendung technischer Fertigkeiten ist. Er betont die Notwendigkeit einer Notfallpädagogik, die darauf abzielt, nicht nur Fachkompetenzen, sondern auch soziale, methodische und personale Fähigkeiten in die Ausbildung von Einsatzkräften zu integrieren. Diese multidimensionale Herangehensweise soll es den Rettungskräften ermöglichen, eigenständig Maßnahmen zu ergreifen und ihre Erfahrungen reflektiert in ihre Persönlichkeit zu integrieren. Karutz sieht hierin eine wichtige Entwicklung hin zu einem ganzheitlichen Kompetenzansatz, der heute mehr denn je relevant ist. (Karutz, H., 2004)

FAZIT
Das Kompetenzkonzept wird in verschiedenen Kontexten – Berufsbildung, Notfallmedizin und Rettungswesen – als ein Zusammenspiel von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden. Im Mittelpunkt steht die Fähigkeit, in unvorhersehbaren und komplexen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Kompetenz beschränkt sich dabei nicht auf fachliche Expertise, sondern umfasst auch soziale, methodische und personale Dimensionen.
In der Notfallmedizin und im Rettungsdienst ist die Verbindung von Fachwissen mit sozialen und methodischen Kompetenzen entscheidend, um in kritischen Situationen flexibel und effektiv zu handeln. Dr. Andreas Schober und Prof. Dr. med. Alex Lechleithner betonen, dass Handlungsfähigkeit und die Bereitschaft zur praktischen Anwendung von Wissen zentrale Elemente der Kompetenzdefinition sind. Harald Karutz ergänzt diese Sicht durch die Forderung nach einer Ausbildung, die alle Kompetenzbereiche gleichermaßen berücksichtigt.
Die Beiträge verdeutlichen, dass Kompetenz über das bloße Erfüllen von Aufgaben hinausgeht. Sie umfasst die Fähigkeit, in komplexen und herausfordernden Kontexten reflektiert und zielgerichtet zu agieren. Eine ganzheitliche berufliche Handlungskompetenz muss daher fachliche, soziale, methodische und personale Aspekte integrieren.

Warum sollte eine Berufsbezeichnung das Wort „Kompetenz“ beinhalten?
Die Einbindung des Begriffs „Kompetenz“ in eine Berufsbezeichnung kann sinnvoll sein, um den umfassenden Anspruch an die Qualifikationen einer Berufsgruppe zu verdeutlichen. In professionsspezifischen Kontexten wie der Notfallmedizin signalisiert dies, dass nicht nur die technische Expertise, sondern auch die Fähigkeit zur komplexen Problemlösung und situationsgerechten Handlungsfähigkeit gefordert ist. Somit kann die Hervorhebung des Kompetenzbegriffs zur Differenzierung und Aufwertung eines Berufsbildes beitragen. Allerdings stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich notwendig ist, da Kompetenzen implizit zu jedem qualifizierten Berufsprofil gehören und deren explizite Nennung möglicherweise redundant wirkt.